
Die 4. Klassen der Informatik-Mittelschule Stockerau durften sich am Freitag, den 13. Juni 2025, über einen besonderen Besuch freuen, auf den sie sich zuvor im Unterricht gut vorbereitet hatten:
Der mittlerweile 86-jährige Siegfried Loewe, ein jüdischer Zeitzeuge, nahm die Strapaz der Anreise auf sich, um den Schülerinnen und Schülern seine persönliche Lebensgeschichte, die durch den Nationalsozialismus geprägt ist, zu erzählen. Begleitet wurde er von seiner Frau, Carole Loewe und einer Assistentin von erinnern.at – eine übliche Maßnahme, wenn Zeitzeugen eine Schule besuchen:
Siegfried Loewe wurde 1939 in Brüssel als Sohn polnisch-jüdischer Eltern geboren, die aus wirtschaftlichen Gründen Polen verließen und nach Deutschland gingen. Nach der deutschen Invasion wurde seine Familie Opfer der Shoah: Beide Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Siegfried und seine Schwester überlebten versteckt dank einer Kinderrettungsaktion. 1945 kam er ins jüdische Kinderheim, später zu Pflegeeltern (Ehepaar Loewe), die ihn 1946 adoptierten. 1947 zog er mit ihnen nach Wien. Seine wahre Herkunft wurde ihm jahrzehntelang verschwiegen – erst 1961 erfuhr er durch Zufall seine wahre Identität. Der Name „Siegfried“ ist auffällig: ein stark deutsch geprägter Vorname, ungewöhnlich für einen in Belgien geborenen Juden. Er war aber bei jüdischen Eltern in Deutschland beliebt (Platz 7), was auf eine kulturelle Verbundenheit mit Deutschland hinweist – trotz des damals zunehmenden Antisemitismus. Das Verhältnis zu den Adoptiveltern blieb ambivalent, sein späteres Leben war geprägt von der mühsamen Rekonstruktion seiner Identität.
Literatur: Versteckt und verschwiegen. Erinnerungen an Siegfried Loewe.
Siegfried Loewes Erzählung wurde durch Bilder aus seinem Leben ergänzt. Die Schülerinnen und Schüler konnten ihre vorbereiteten oder auch spontanen Fragen zwischendurch und im Anschluss stellen.
Nach zwei Unterrichtsstunden verabschiedete sich Herr Loewe wieder. Nach dem Mittagessen besichtigte er gemeinsam mit seiner Frau und seiner Assistentin den jüdischen Friedhof in Stockerau.
Rainer Bugl
